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Mein Entdecken der Kopierer
als künstlerisches Werkzeug

Ab 1979 begann ich in ersten sporadischen Versuchen, mein drucktechnisches Wissen (Lithographie und Radierung) mit den Mitteln des Schwarzweiß-Kopierers und später (1988) mit Maschinen, bei denen die Farb-Toner-Stationen gewechselt werden können, umzusetzen. Folien und Schablonen ergaben neue Ansätze, deren Grenzen für mich jedoch rasch offenbar wurden. Es entwickelte sich aber eine Eigendynamik aus den sich anbietenden Kombinationsmöglichkeiten, die mich immer mehr zu interessieren begann. Analog zu der selektierenden Ausschnittwahl in der Fotografie konnte ich jetzt auch in meiner Arbeit vorgehen. Durch "Zoomen", fokussierendes Verändern visueller Wahrnehmung, gelangen plötzlich neue Einblicke in die Struktur des Pinselstrichs, des malerischen Farbauftrags. Durch die apparative Manipulation entmaterialisiert, grafisch in schwarz-weiß aufgelöst, zeigten sich neue Aspekte meiner Arbeit, neue Zugänge zur eigenen Imagination. Diese Erfahrung versuchte ich nun gezielt einzusetzen.
Vorerst setzte ich den Kopierer als Mittler zwischen den traditionellen Techniken ein. Ich collagierte, überzeichnete, kopierte Vorlagen mehrmals und montierte sie schließlich zu größeren Blättern, in denen sich die stufenweise Entwicklung je nach Thematik manifestierte.

Die Technologie der CLCs (Color Laser Copier) begann ich sofort zu nutzen (1990), als diese Geräte allgemein zugänglich wurden. Computerkontrollierte Kreativprogramme erweiterten die künstlerischen Eingriffsmöglichkeiten. Der Kopierer hat sich von der Kamera, die auch drucken kann, zum Scanner und zur Druckmaschine entwickelt. Die Verbindung von analogen und digitalen Bildern mit Hilfe der Collage, aber auch über das Vorlagenglas, war ein spannendes, wenngleich ein kostenintensives Experimentierfeld. Ein Konflikt entstand um die weitere Vorgehensweise, doch das Erkunden, spielerisch-kämpferisch, mußte weitergehen. Voraussetzung ist wie überall die Kenntnis des Werkzeuges und Materials. Das Medium Fotokopie ist ein Medium des Dialogs, sowohl im Mensch-Maschinenverhältnis als auch z.B. zwischen Fotografie und anderen neuen oder traditionellen Medien. Das Vorlagenglas wird so zur Remix-Montage-Fläche. In Verbindung mit verschiedenen Ausgangsmaterialien ist der individuellen Gestaltung kaum eine Grenze gesetzt. Der Kopierer wird in der künstlerischen Anwendung zur "Magicbox", auf deren rasch sichtbares Ergebnis sofort wieder reagiert werden kann.

Meine Arbeiten sind nie rein "techno-logisch"; der menschliche, manipulative Aspekt - das Handgelenk - ersetzt den Pinsel, dadurch entwickelt sich eine eigene Welt von Farbe. Das Blatt wird in Bewegung gesetzt, das gestische Eingreifen, der Körpereinsatz ist ablesbar. Selbst der taktil-sinnliche Bereich kommt nicht zu kurz, der Tonerauftrag einzelner Farben ist am Blatt ertastbar, wenn auch nur bei bestimmten Programmen. Es kommt immer wieder zu Schnitten/Brüchen, die serielle Abwandlung ist schneller möglich als mit traditionellen Medien. Der Prototyp aber und die Transformationsstufen entstehen langsam. Das Überlagern und Ineinandergreifen von Bedeutungsfeldern und Bildinformationen, die Verzahnung verschiedener Medien, das Eliminieren der ursprünglichen Ganzheit, das Suchen eines Details sowie das Ein- und Ausblenden über die Editiertafel führen zu einer unverwechselbaren Ästhetik.

Neue Medien machen so die alten nicht überflüssig - ich verbinde sie. Das fotografische Element - mein häufig vor Ort recherchiertes, thematisch bezogenes Bildmaterial - wird meist kopigrafisch weiterbearbeitet. Selten greife ich auf fotografisches Fremdmaterial zurück.
Intermediales Verknüpfen ist auch Überlisten der maschinellen Automatismen. Während der einzelnen Scanvorgänge unterschiebe, bedecke oder überlagere ich verschiedene Bildvorlagen und -inhalte, auch in Verbindung mit Materialien und Objekten. Diese Interaktion ist im Gegensatz zum errechneten Computerbild nur mit dem Laserkopierer möglich.

Geschwindigkeit, Energie und Dynamik korrespondieren phasenweise über dem Vorlagenglas, werden experimentell ausgereizt. Durch dieses Ausloten und Überwinden von Grenzen entsteht eine "provokante" Bildsprache - eine Ästhetik, welche nur so möglich ist.
Der Betrachter wird über die klassische Bilderfahrung hinausgeführt.

 

Peter Huemer, 1993/98

Auszug aus Buch:
Peter Huemer
Image in Motion
Arbeiten mit dem Medium Fotokopie 1987 - 2002